Berichte 2017

Zusammenhang zwischen Darmflora und Multipler Sklerose entdeckt

Forscherinnen und Forscher von USZ und UZH untersuchen die Immunantwort, die bei Multiple-Sklerose-Patienten für die Schäden in Gehirn und Rückenmark und damit auch für die neurologischen Ausfälle verantwortlich ist. Dabei haben sie mehr über den Zusammenhang zwischen Darmbakterien und der Entstehung von Multipler Sklerose herausgefunden.

Multiple Sklerose (MS) bricht typischerweise im jungen Erwachsenenalter aus, Frauen sind etwa dreimal so häufig betroffen wie Männer. Die Erkrankung kann mittlerweile wirksam behandelt werden, führt jedoch nach wie vor häufig zu Sehstörungen, Gefühlsstörungen, Lähmungen oder Gehbehinderung. Die Ursache von MS ist noch immer nicht geklärt, es wird angenommen, dass Varianten von immunologisch relevanten Genen, aber auch Umweltfaktoren wie ein niedriger Vitamin-D-Status, Rauchen sowie Viren und Bakterien an der Entstehung von MS beteiligt sind.

Auch ist nicht vollständig verstanden, wie das Zusammenspiel von genetischen Faktoren und Umweltfaktoren zu einer Autoimmunerkrankung führt, die hochspezifisch nur das Gehirn und das Rückenmark angreift. Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Immunsystem der Patientinnen und Patienten durch sogenannte Fremdantigene, z.B. das Epstein Barr Virus, so aktiviert wird, dass es körpereigenes Gewebe, bei MS sind das Gehirn und Rückenmark, fälschlicherweise attackiert. Sogenannte autoreaktive T-Helfer-Lymphozyten spielen dabei eine besonders wichtige Rolle. Die Zielantigene dieser Zellen genau zu kennen, ist deshalb für viele Fragen der MS-Forschung von grosser Bedeutung. Sie helfen zum Beispiel, die Krankheitsmechanismen bei einzelnen Patienten besser zu verstehen, aber auch bei der Diagnostik und der Entwicklung besonders schonender, auf die Ursachen der MS gerichteter Behandlungen.

Wegweisende Entdeckungen

Ein Forschungsteam von USZ und UZH unter Leitung von Dr. Mireia Sospedra und in Zusammenarbeit mit Forschenden in Basel, San Diego und Barcelona widmet sich intensiv der Lösung dieser Frage. Eine ihrer Arbeiten, die 2018 publiziert wurde, sorgte unter MS-Forscherinnen und Forscher weltweit für Aufsehen.
Für seine Studie kombinierte das Wissenschaftlerteam eine Reihe neuartiger Techniken. Ausgehend von T-Helferzellen, die aus dem Gehirn einer verstorbener MS-Patientin isoliert wurden und mit hoher Wahrscheinlichkeit für deren schweren Krankheitsverlauf verantwortlich waren, untersuchte das Team um Mireia Sospedra, welche Zielantigene von den T-Helferzellen erkannt wurden. Dabei kam es zu zwei überraschenden und wegweisenden Ergebnissen.

Zum einen wurde mit einem eigens entwickelten Suchverfahren für Zielantigene ein Protein gefunden, das für die Synthese bestimmter Zuckerreste verantwortlich ist. Zum anderen entdeckten die Forschenden, dass dieses Zielprotein Gemeinsamkeiten mit Bakterien aufweist, die in der Darmflora von MS-Patienten besonders häufig gefunden werden: Akkermansia muciniphila. Diese Entdeckungen lassen wichtige Schlussfolgerungen zu. So weiss man jetzt, wie bestimmte Darmbakterien zum Autoimmunprozess bei MS beitragen können. Man nennt diesen Prozess molekulare Mimikry.

Die Wichtigkeit der Immunantwort gegen das neue Zielantigen hat sich in Folgeuntersuchungen bei einer grossen Zahl von MS-Patienten bereits bestätigt. Die Forschenden werden dieses Zielantigen für die Entwicklung eines neuen Therapieansatzes verwenden. Es handelt sich dabei um die Antigen-spezifische Toleranzinduktion. Die Forschung dazu wird durch das Wyss Zürich Zentrum gefördert. Projektleiter ist Andreas Lutterotti.

Das Forschungsteam um Mireia Sospedra wurde weiter vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), einem Advanced Grant des European Research Council an Roland Martin, durch den Klinischen Forschungsschwerpunkt MS der UZH sowie über den neuen Klinischen Forschungsschwerpunkt Precision-MS der UZH gefördert.

Publikation:
Planas, R., Santos, R., Tomas-Ojer, P., Cruciani, C., Lutterotti, A., Faigle, W., Schaeren-Wiemers, N., Espejo, C., Eixarch, H., Pinilla, C., Martin, R., Sospedra, M. GDP-L-fucose synthase as a novel CD4+ T cell-specific autoantigen in DRB3*02:02 multiple sclerosis patients. Sci. Transl. Med. 2018 Oct 10;10(462). pii: eaat4301. doi: 10.1126/scitranslmed.aat4301 (2018)