Berichte 2017

Für die Erstbehandlung braucht es die Experten

Nach einem Schlaganfall müssen schnell medizinische Massnahmen getroffen werden, die über das weitere Schicksal des Betroffenen entscheiden. Das ganze Spektrum der möglichen Behandlungen kann nur ein spezialisiertes Zentrum anbieten.

Lähmungserscheinungen in einem Arm oder Bein, Sprach­, Sehstörungen oder Schwindel – das können erste Anzeichen eines Schlaganfalls sein. Jetzt muss es schnell gehen: Den Notruf 144 alarmieren und dann auf dem nächsten Weg in ein Schlaganfallzent­rum. «Ein Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall, der auf spezialisierten Stationen behandelt werden sollte», sagt Professor Andreas Luft. Der Neurologe leitet das Schlaganfallzentrum des USZ. Zehn dieser Stroke Centers gibt es in der Schweiz – sie sollen im Rahmen der hochspezialisierten Medizin die komplexe Behandlung bei Hirnschlägen sicherstellen. Alle zertifizierten Zentren verfügen über modernste Technik zur genauen Diagnose und über spezialisierte Behandlungsmethoden. Welche die für die Patientin oder den Patienten beste Therapie ist, entscheiden Neurologen, Neuroradiologen und Neurochirurgen gemeinsam – am USZ sind die drei Disziplinen im Klinischen Neurozentrum vereint und räumlich eng verbunden. Die Experten stehen an 365 Tagen während 24 Stunden bereit.

Komplikationen verhindern

Für die Versorgung nach der Akuttherapie gibt es in der Schweiz zusätzlich zu den Stroke Centers insgesamt 13 an regionalen Spitälern angesiedelte Stroke Units – auch deren Personal ist auf Hirnschlag spezialisiert, und sie haben eine separat ausgewiesene Schlaganfallstation.

«Die weitere Therapie auf einer spezialisierten Station ist genauso wichtig wie die Erstbehandlung», betont Neurolo­ge Luft. Entscheidend sei «die Summe der Massnahmen». Auf einer Schlaganfallstation werden die Patienten intensivmedizinisch überwacht, speziell geschulte Pflege­kräfte reagieren sofort, wenn sich beispielsweise die neurologischen Symptome, der Blutdruck oder der Blut­zuckerwert verändern. Pflegefachpersonen und Physio­therapeuten beginnen frühzeitig mit ersten Massnahmen der Rehabilitation. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass Spitäler mit speziell ausgebildetem Personal in der Schlaganfallbehandlung bessere Ergebnisse erzielen. Konkret bedeutet das: weniger Todesfälle, weniger lang­fristige Schäden und weniger Tage im Spital. Die meisten Patienten bleiben ein bis drei Tage in einem Stroke Center, ehe sie auf eine Stroke Unit verlegt und dort möglichst wohnortnah weiterbetreut werden.

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Wir sehen heute immer besser, ob es noch zu rettendes Gewebe gibt.
Prof. Andreas Luft

Vor der Akuttherapie steht die Diagnose mittels modernster Bildgebung. Sie erfolgt in der Regel über die bildliche Darstellung des Gehirns in mehreren Schichten (Tomografie). Über eine Computertomografie (CT) können die Ärzte innerhalb weniger Minuten sehen, ob ein Gefäss verstopft ist oder ob es sich um eine Hirnblutung handelt. Der Gefässverschluss durch ein Blutgerinnsel oder einen Thrombus ist mit circa 85 Prozent die häufigste Ursache eines Schlaganfalls, viel seltener handelt es sich um eine Hirnblutung. Mit der Magnetresonanztomografie (MRI) lässt sich genau erkennen, wie alt der Infarkt ist und wie schwer beziehungsweise wie gross das Hirnareal ist, das nun nicht mehr mit sauerstoffreichem Blut versorgt wird. «Wir sehen heute immer besser, ob es noch zu rettendes Gewebe gibt», sagt Andreas Luft.

Längeres Zeitfenster für Therapie

Bei einem Gefässverschluss sind meist die Neuroradiolo­gen gefordert. Mithilfe von Mikrokathetern entfernen sie den Thrombus und stellen so den Blutfluss schnellstmög­lich wieder her. Weil die Technik für die Thrombektomie heute viel ausgereifter ist als noch vor einigen Jahren, sei die Methode heute «viel effizienter» und bringe «bisher unerreichte Behandlungserfolge», sagt Prof. Christoph Stippich, Leiter der Klinik für Neuroradiologie. Die Be­handlungsstrategie und das passende «Werkzeug» wählen die Neuroradiologen anhand neuroradiologischer Bilder aus. Der genaue Ort des Gefässverschlusses, die Grösse und die Beschaffenheit des Thrombus, die Grösse des Hirn­infarkts und die Blutversorgung des betroffenen Areals sind hierfür entscheidend. «Die Art des Eingriffs ist immer individuell», sagt Christoph Stippich. Von den rund 800 Schlaganfallpatienten, die jährlich im USZ behandelt werden, erhalten derzeit etwa 160 eine Thrombektomie, Tendenz steigend. Neue Studien zeigen, dass Patienten auch nach deutlich mehr als sechs Stunden von diesem Verfahren profitieren.

Die seit Längerem etablierte medikamentöse Auflösung der Thromben, die Lysetherapie, muss innerhalb von 4.5 Stunden nach einem Hirnschlag erfolgen. Ob eine Kombi­nation von Lyse und Thrombektomie den Behandlungs­erfolg weiter verbessern kann, wird zurzeit untersucht. Zentral ist aus Sicht von Christoph Stippich, dass der Patient möglichst schnell in einem auf die Hirnschlagbe­handlung spezialisierten Zentrum behandelt wird: «Dafür braucht es eine gute Logistik ausserhalb und innerhalb des Spitals.» Sowohl Rettungsdienste wie auch die Spitäler selbst müssten laufend daran arbeiten, dies zu optimieren.

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Für eine schnelle Behandlung braucht es eine gute Logistik ausserhalb und innerhalb des Spitals.
Prof. Christoph Stippich

Schnell die Ursache finden

Die Neurochirurgen kommen zum Einsatz, wenn eine ausgedehnte Blutung vorliegt, die sie stillen müssen, oder wenn das Gehirn nach einem grossen Schlaganfall an­schwillt. Dann entfernen sie einen Teil des Schädelkno­chens, um den Hirndruck zu verringern und das Gehirn vor weiteren Schäden zu bewahren. Das entfernte Knochen­stück legen sie nach der Kraniektomie in den Gefrier­schrank und setzen es Wochen später wieder ein. Kann das Blutgerinnsel, das zum Schlaganfall geführt hat, nicht aufgelöst oder entfernt werden, können die Neurochirur­gen über einen Bypass die Blutversorgung wieder sicher­stellen (siehe Interview).

Genauso wichtig wie eine rasche Behandlung ist die Abklärung der Ursache des Schlaganfalls. «Dafür braucht es immer die Kardiologen», sagt Andreas Luft. Mindestens jeder dritte Schlaganfall habe eine kardiale Ursache. Als grösste Risikofaktoren gelten ein zu hoher Blutdruck und Vorhofflimmern. Mit einem Elektrokardiogramm (EKG) prüfen die Kardiologen, ob eine Rhythmusstörung vorliegt – bei Patienten mit einem hohen Risiko für einen erneuten Schlaganfall misst ein unter der Haut implantierter Chip, wie regelmässig das Herz schlägt. Die Neurologen untersu­chen mithilfe von Ultraschall, ob die zum Hirn führenden Gefässe im Hals verengt sind – Kalkablagerungen oder Thromben, die aus dem Herzen kommen, können die Carotis­Arterien verstopfen und die Blutzufuhr zum Gehirn unterbinden. Ist dies der Fall, öffnen die Neurochir­urgen die Halsschlagader, schälen die Ablagerungen heraus und nähen das Gefäss wieder zu.

Das Gehirn kann sich erholen

Durchschnittlich zwölf Tage verbringen Schlaganfallpati­enten im Spital. Danach beginnt die deutlich längere Phase der Rehabilitation. Denn auch nach der besten Therapie bleibt in vielen Fällen ein Schaden zurück, eine Gehbe­hinderung, eine Lähmung oder eine Sprachstörung. Die Forschung der letzten Jahre hat jedoch ermutigende Ergebnisse hervorgebracht, sowohl bei den Methoden zur Rehabilitation wie bei der Regenerationsfähigkeit des Gehirns. So weiss man heute, dass das Gehirn versucht, beste­hende Defizite zu kompensieren, indem andere Gehirnare­ale die Steuerung für ausgefallene Funktionen überneh­men.

Zusätzlich spriessen rund um das abgestorbene Gewebe neue Nervenfasern aus. Die Forschung sucht nun nach Faktoren, die das Wachstum von Nervenfasern fördern können. Zudem möchte sie herausfinden, wie man ein geschädigtes Gehirn so trainie­ren kann, dass es sich am besten erholt.

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Die Thrombektomie bringt bisher unerreichte Behandlungserfolge.
Prof. Christoph Stippich

Schlaganfall­spezialist Andreas Luft forscht selbst auf dem Gebiet der Neuro­Rehabilitation. Die Motivation der Patienten für ein Training hält er für den wichtigsten Erfolgsschlüssel. Computergestützte Spiele können ebenso motivierend wirken wie eine Belohnung über Geld – Luft erforscht beide Ansätze im Rahmen klinischer Studien.

Was auch immer die Erholung nach einem Schlaganfall zu fördern vermag: Sie ist umso eher und besser möglich, je geringer der Schaden im Gehirn ist. Hier schliesst sich der Kreis zur Akuttherapie. Je schneller und spezialisierter sie ist, desto grösser sind die Chancen, einen Schlaganfall nicht nur überhaupt, sondern gut zu überleben. «Die Erstversorgung bestimmt den weiteren Verlauf», sagt Andreas Luft. Entweder verlangt der Patient selbst, dass er in ein Schlaganfallzentrum eingeliefert wird, oder seine Angehörigen. Ist das Zentrum zu weit entfernt, sollten Patientin oder Patient in das nächste Spital, das die Akutversorgung nach einem Schlaganfall übernehmen kann, also in die nächstgelegene Stroke Unit. Deren Ärzte können sich mit einem Zentrumsspital fachlich austau­schen – das USZ kooperiert eng mit den Stadtspitälern Triemli und Waid, den Kantonsspitälern Glarus, Winterthur und Schaffhausen sowie mit den Spitälern Horgen, Wetzi­kon, Lachen, Limmattal, Schwyz und Uster. «Wir können uns jederzeit telemedizinisch zuschalten und die CT­Auf­nahmen direkt beurteilen», sagt Andreas Luft. Kommen die Experten zum Schluss, dass eine Verlegung in ein Zentrum sinnvoll ist, geschieht auch das «schnellstmöglich».