Berichte 2017

«Die wirklich guten Ideen in der Forschung kommen zu 90 Prozent aus der Akademie»

Regina Grossmann leitet seit April 2019 das Clinical Trial Center am USZ. Im Interview erklärt sie, warum Forschende mit dem CTC zusammenarbeiten sollten, wie man ein Forschungsprojekt gut aufgleist und was sie an der akademischen Forschung fasziniert.

Frau Grossmann, das Clinical Trial Center (CTC) ist ein wichtiges Zentrum für das USZ. Was genau wird dort gemacht?

Wir unterstützen Forschungsgruppen des USZ in verschiedenen Bereichen. Wenn eine Forschungsgruppe zum Beispiel erst eine ungefähre Vorstellung von einem Forschungsvorhaben hat, helfen wir dabei, diese Idee in eine Systematik zu verpacken, die Fragestellungen auszuformulieren und ein gutes Studiendesign aufzusetzen. Wir begleiten die Gruppe von Beginn an bis hin zur Archivierung der Projektunterlagen. Bei erfahreneren Forschungsgruppen hingegen unterstützen wir punktuell. Dann betreuen wir nur Teilprojekte eines Prozesses wie Reviews oder führen Qualitätskontrollen durch.

Begleiten Sie und Ihr Team ausschliesslich Forschungsgruppen des USZ?

Unser Fokus liegt schon auf den USZ-Forschungsgruppen, und zwar bei den Investigator Initiated Trials. Das sind Projekte, bei denen die Forschenden auch die Sponsorenrolle übernehmen, das heisst, sie organisieren alles selbst. Wir haben aber auch viele Kollaborationspartner wie die Universität oder die ETH, und auch assoziierte Spitäler wie Balgrist oder Waid. Auch die Industrie gehört zu unseren Kunden. Wenn Pharmaunternehmen am USZ eine Studie machen und ein Monitoring brauchen, machen wir das für sie und wir bieten auch Dienstleistungen wie Studienkoordination oder Datenmanagement an.

Die Anforderungen an Projekte in der Humanforschung sind in der Schweiz sehr hoch. Welche Unterstützung können Forschende vom CTC erwarten?

Das Humanforschungsgesetz hat einen risikobasierten Ansatz. Das Schweizer Gesetz ist übrigens weltweit eines der ersten Gesetze, das so ausgerichtet ist. Es sieht vor, dass Low-Risk-Studien weniger hohen Anforderungen gerecht werden müssen als High-Risk-Studien. Das ist gegenüber dem alten Vorgehen eine Erleichterung. Neu ist, und das empfinden viele Forschende als Hürde, dass mit dem Humanforschungsgesetz nicht nur Heilmittelstudien reguliert werden, sondern auch alle anderen. Zum Beispiel müssen auch chirurgische Studien, die früher nicht reguliert waren, heute die Anforderungen des Gesetzes erfüllen.

Was bieten Sie konkret für die Forschenden?

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Abteilung Regulatory Affairs kennen das Humanforschungsgesetz in- und auswendig. Sie wissen ganz genau, welcher Paragraf wann zur Anwendung kommt, welche Dokumente wo eingereicht werden oder wie diese ausformuliert sein müssen. Wenn sich jemand also darauf einlässt, mit uns zu arbeiten, verfügt er am Ende über sehr gute Studiendokumente, die in allen Belangen mit Gesetzen und Guidelines konform sind.

Warum sagen Sie «darauf einlassen»?

Es kommt vor, dass Forschende unsere Tätigkeit als «Einmischung» empfinden. Manchmal haben Forschungsgruppen eigene Vorstellungen davon, wie ein Projekt ablaufen soll. Sie haben dann Mühe damit, dass wir mitreden. So weisen wir etwa daraufhin, wenn ein Safetyreporting möglicherweise nicht so funktioniert, wie von ihnen angedacht oder fragen nach, ob sie wirklich so viele Visiten machen wollen oder diese grosse Anzahl CT sinnvoll ist und so weiter. Manchmal werden diese Hinweise als Einmischung wahrgenommen.

Aber das ist es nicht?

Nein, absolut nicht. Die Forschungsgruppen sind die Experten für Behandlungen zum Beispiel in der Handchirurgie oder in der Kardiologie. Es käme uns nie in den Sinn, ihnen fachlich irgendwo reinzureden. Aber so, wie sie absolute Profis sind für alles was mit Handchirurgie oder mit dem Herz zu tun hat, sind wir die Profis für alles, was mit Forschung zu tun hat. Darum ist es sinnvoll, mit uns zusammen zu arbeiten.

Müssen die Forschenden für die Dienstleistungen des CTC zahlen?

Es kommt darauf an, welche Leistungen sie beanspruchen. Wir versuchen natürlich so viel wie möglich kostenneutral anzubieten. Die ganzen Beratungen zu Studiendesign und Methodologie haben keine Folgekosten. Bezahlen müssen sie aber zum Beispiel für ein Monitoring. Wenn also ein Sponsor will, dass das CTC regelmässig mehrere Stunden für ein Monitoring aufwendet, dann wird diese Dienstleistung in Rechnung gestellt.

Findet ein Austausch mit anderen Zentren statt?

Ja, sogar ein sehr intensiver Austausch. 2006 hat der Schweizerische Nationalfonds den Aufbau von CTCs in den Universitätsspitälern mitfinanziert. Heute sind diese Zentren in einem Netzwerk über eine Dachorganisation (SCTO) miteinander verknüpft. Innerhalb des Netzwerks sind wir in thematischen Plattformen organisiert, auf denen sich die Spezialisten der Zentren regelmässig austauschen. Dieser Austausch von Wissen ist hilfreich und auch sehr inspirierend.

Wenn Sie einem jungen Forscher oder einer jungen Forscherin drei Tipps geben müssten, damit ihr Projekt gelingt, wie würden diese lauten?

Da hätte ich schon ein paar Empfehlungen. Sie müssen verstehen, dass Forschung nicht so funktioniert, wie der klinische Alltag. Es gelten ganz andere Spielregeln. Dafür gibt es am USZ die GCP-Kurse, in denen die Grundlagen zur Good Clinical Practice vermittelt werden. Diese Kurse sind Pflicht. Das sind zwei bis drei sehr intensive Kurstage. Ist man neu in der Forschung, kann man die geballten Informationen fast nicht verdauen. Mein Tipp Nummer 1 ist daher: Nehmt euch dafür Zeit, arbeitet euch in die Thematik ein, bearbeitet die Informationen nach, meldet euch bei uns, wenn ihr Fragen habt. Hat man die Grundlagen verstanden, macht man schon sehr vieles richtig.

Und welche weiteren Tipps geben Sie?

Die akademische Forschung scheitert häufig an der mangelnden Zeit. Mein Tipp Nummer 2 lautet deshalb: Ihr braucht genügend Zeit. Forschung ist kein Hobby und auch keine Wochenendbeschäftigung, sondern man braucht dafür richtig viel Zeit. Und mein dritter Tipp schliesslich: Forschung ist nie ein One-man- oder One-woman-show, sondern immer eine Teamleistung. Die vielen Timelines lassen sich alleine gar nicht bewältigen. Muss man innerhalb von 24 Stunden eine Meldung von A nach B machen, muss das auch an Weihnachten, in den Ferien oder am Wochenende funktionieren. Diese Pace ist ohne Team nicht möglich. Und das Team muss trainiert sein, jeder und jede muss wissen, wer was wann macht. Wenn man diese drei Punkte beachtet, ist man mit seinem Projekt auf einem guten Weg.

Das CTC begleitet die Studien. Sind sie einmal abgeschlossen, haben Sie und Ihre Mitarbeitenden aber nichts davon. Ist das richtig?

Ja, das ist leider so. Ich möchte das aber ändern. Wenn wir «nur» Monitoring machen, ist das eine bezahlte Tätigkeit, eine ganz normale Dienstleistung. Aber wenn wir auch viel Wissen in ein Projekt investiert haben, etwa Dokumente geschrieben und entwickelt haben, fände ich es angemessen, wenn wir künftig auch als Co-Autoren aufgeführt sind oder mindestens erwähnt werden.

Welches sind in Ihren Augen die spannendsten Projekte?

Das sind für mich jene Projekte, deren Forschungsergebnisse nach der präklinischen Phase zum ersten Mal für die Patientinnen und Patienten nutzbar gemacht werden können. Wenn etwa Muskelzellen im Labor vermehrt und anschliessend in den defekten Muskel um die Harnröhre gespritzt werden und damit Inkontinenz gestoppt werden kann. Oder das Projekt am Kinderspital, wo im Labor menschliche Haut für Verbrennungsopfer gezüchtet wird.
Ich behaupte, die wirklich guten Ideen in der Forschung kommen zu 90 Prozent aus der Akademie. Das Experimentelle fasziniert mich an der akademischen Forschung, die ja nicht einfach gewinnorientiert ist. Misserfolge und manchmal auch einen unstrukturierten Weg, muss man dabei aushalten. Das ist nicht immer einfach.

Dr. med Regina Grossmann
Leiterin Clinical Trials Center (CTC) am USZ

Regina Grossmann, Dr. med., war nach Medizinstudium und klinischer Tätigkeit in der Chirurgie mehrere Jahre bei Swissmedic in der Aufsicht tätig. Für den Abschluss des Facharzttitels in pharmazeutischer Medizin wechselte sie 2011 ans USZ. Ihre Faszination liegt dort, wo Forschungsergebnisse für den Menschen nutzbar gemacht werden.

Regina Grossmann ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt am Walensee. Wenn es die Familie und ihre 100-Prozentpensum erlauben, erholt sie sich in der Natur: «Dort kommen mir die besten Ideen.»